Es ist leider nicht bekannt, wen diese Daguerreotypie zeigt.Die Porträtierte, eine junge Frau mit weichen anziehenden Gesichtszügen, hält ihren Kopf in der einen und den Auslöser ihres Lächelns – einen eben aufgebrochenen Brief –in der anderen Hand. Überreich bietet sich uns die Komposition dieses Bildes dar; die Kleidung der Frau, das Beiwerk auf dem Tisch, die den Tisch schmückende, noch aus der Lebenszeit Eduard Wehnerts stammende Decke. Die Porträtierte trägt ein Tuch um den Kopf und es wirkt so, als wäre sie eben von draußen hereingekommen, um schnell den vorgefundenen Brief zu öffnen. Es ist ein zu schönes Bildnis, um einer solchen suggestiven Narration nicht zu unterliegen. Meisterlich arbeitet Bertha Wehnert-Beckmann mit dem Wechsel von Hell und Dunkel, mit dem grau-diffusen Hintergrund, mit dem Zwischenton der Tischdecke. Der aufgefaltete Briefbogen, der Ärmel, das Tuch, seine Enden unter dem Kinn und der Kragen über dem Kleid beleben und beleuchten gewissermaßen die Szene am Tisch, die aus dem Dunkel des Seidenkleides ihre große Ruhe bezieht. Auf dem Tisch befinden sich ein gefülltes Wasserglas sowie eine aus dem Etui geklappte Daguerreotypie mit dem Porträt zweier Personen. So wird fast im Unterbewusstsein eine Verbindung zwischen den dort Porträtierten und dem Brief hergestellt. Hier hat Bertha Wehnert ein Bildnis – Abbild und Sinnbild in einem – von hoher Vollendung geschaffen.
Schenkung von Adolf Sander, Leipzig, 1918
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